„Ich glaube an die Ästhetik der Einfachheit“, sagt die Schweizer Künstlerin Marianne Hollenstein.
Ihre Bilder, Installationen, Grafiken, Performances, Collagen und Szenografien besitzen eine beeindruckende Ausgewogenheit, die man kaum noch als minimalistisch bezeichnen kann. Sie ist die Manifestation eines Gleichgewichts von Intellektualität und Sinnlichkeit im Sinne von Hegels ethischer Ästhetik. Wie in “der gute Text” oder “die gute Rede”, die keine Ausschmückungen benötigen, um klar verstanden zu werden. Die Ausstellung der Künstlerin in Kiew kombiniert mehrere Werke und Zyklen: Ihre in Frankreich, Deutschland und anderen Ländern gezeigte Performance „Letters in Between“ steht im Zentrum davon. Diese Performance basiert auf den Briefen von Hanna Arendt, der deutsch-amerikanischen Philosophin. Beim Vorlesen von Arendts Briefen füllt Hollenstein Blätter und schreibt mit seltsamen Symbolen hinein. Es ist ihr eigener Schriftzug, der Herzkurven, Enzephalogrammen oder Polygraphendetektoren ähnelt. Der Rhythmus ihrer mystischen Schriften setzt Leidenschaften, Hoffnungen und Frustrationen frei, die in Arendts philosophischen Texten keinen Ausdruck finden können. Das humanitäre Weltbild von Arendt ist so fest, als wäre es ein Plateau, das nicht anfällig für Erdbeben ist. Und doch: „Was bedeutet es, ein Mensch zu sein?“ – ist die Frage, die Hollenstein in ihren Kunstwerken inspiriert. „Meine Arbeit bezieht sich bei allem, was ich tue, auf den Menschen in seiner Bedingtheit sowie auf die wahre geistige und politische Beschaffenheit meiner Umwelt.“
In „The Human Condition“, einem der bemerkenswertesten Werke von Hanna Arendt, setzt sie menschliches Handeln der Produktion entgegen. Menschenrechte sollten nach Ansicht der Philosophin das Recht zum Handeln und Denken einschließen. Dies in Zeiten, in denen Handlungen nurmehr zum Antreiben von Maschinen dienen und nicht mehr.
Marianne Hollenstein destabilisiert diese allzu pragmatische Perspektive. Wenn wir ihr Werk und damit ihre Weltsicht sehen, regt ihre individuelle nicht zweckgebundene Tätigkeit das eigenständige Denken und Handeln im Betrachter an.
Kostiantyn Doroshenko, Kyiv
„I believe in the aesthetics of simplicity,“ says Swiss artist Marianne Hollenstein.
Her paintings, installations, graphics, performances, collages and scenography have an impressive balance that can hardly be described as minimalist. It is the manifestation of a balance of intellectuality and sensuality in the sense of Hegel‘s ethical aesthetics. As in „the good text“ or „the good speech“, which need no embellishments to be clearly understood. The artist‘s exhibition in Kiev combines several works and cycles: her performance „Letters in Between“, shown in France, Germany and other countries, is at the center of this. This performance is based on the letters of Hanna Arendt, the German-American philosopher. When reading Arendt‘s letters Hollenstein fills sheets and inscribes them with strange symbols. It is their own writing that resembles heart cur- ves, encephalograms or polygraph detectors. The rhythm of their mystical writings re- leases passions, hopes and frustrations that can not find expression in Arendt‘s philosophical texts. The humanitarian worldview of Arendt is as solid as if it were a plateau that is not prone to earthquakes. And yet, „What does it mean to be human?“ – is the question that inspires Hollenstein in her artworks. „My work, in everything I do, refers to man in his conditionality and the true spiritual and political nature of my environment.“
In „The Human Condition“, one of Hanna Arendt‘s most noteworthy works, she counters human action with production. Human rights should, in the philosopher‘s view, include the right to act and think. This in times when actions only serve to drive machines and nothing more.
Marianne Hollenstein destabilizes this overly pragmatic perspective. When we see her work and thus her worldview, her individual, unrestricted activity stimulates independent thought and action in the viewer.
Kostiantyn Doroshenko, Kyiv